Mittwoch, 7. November 2018

Wie ich zur kehlkopflosen Halsatmerin wurde + Was war und ist nun ohne Kehlkopf anders + Wie spreche ich?

Wie ich zur kehlkopflosen Halsatmerin wurde 

Gestern vor genau einem Jahr stand der Arzt an meinem Dürener Krankenhaus-Bett und sagte mir, die ich noch im Aufwachen begriffen war, dass die Ursache für meine starke und schon lange andauernde Heiserkeit ein ausgewachsener Tumor im und am Kehlkopf sei. „Aber das ist doch kein Todesurteil. Ist ja alles behandelbar“, sagte er wohl mehr zu sich selbst als zu mir, denn für mich hörte sich das damals (noch) nicht nach Todesurteil an. Die Biopsie war entnommen, CTS folgten und ich verweigerte (zunächst) weitere schulmedizinische Behandlungen, weil ich viele Krebsfälle kannte, die alternativ geheilt wurden und sowieso davon erzeugt war, dass körperliche Symptome lediglich psychisch/spirituelle Schwierigkeiten sichtbar machen. Löse diese Schwierigkeit und das Symptom verschwindet. So habe ich gedacht. Dafür kannte ich viele Methoden und lernte im Laufe des darauffolgenden halben Jahres weitere (auch körperliche) kennen.
Das Angebot der Schulmedizin war und ist im Fall von Kehlkopfkrebs: sehr hohe Strahlentherapie kombiniert mit leichter Chemotherapie oder komplette Entnahme des Kehlkopfs. Beides, in meiner bis dahin ablehnenden Haltung der Schulmedizin gegenüber, undiskutierbar brutale Vorgehensweisen. Damals konnte ich ja noch auf normalem Wege atmen und krächzend sprechen.
Möglichkeit 1 hätte ziemlich sicher zu Atemschwierigkeiten und der Unfähigkeit zu schlucken, während und noch lange Zeit nach der Behandlung, geführt. Deshalb wäre bereits zu Beginn der Behandlung ein Luftröhrenschnitt gemacht und eine PEG gelegt worden, über die ich ernährt worden wäre. Die zweite Möglichkeit, die Kehlkopfentnahme bot dieser erste Arzt gar nicht an. Er behauptete, dass das in Deutschland schon einige Zeit nicht mehr gemacht würde, weil die Folgen zu gravierend wären.
Ziemlich genau ein halbes Jahr später bekam ich in der Uniklinik Köln diesen Luftröhrenschnitt, ein Loch im Hals mit Kanüle, ein Tracheostoma, weil ich kaum noch Luft bekam. Der Tumor war ein wenig gewachsen. Genug um mir das Atmen zu erschweren und ohne diese Maßnahme bald zu verunmöglichen.
Hatte ich während des vergangenen halben Jahres noch geglaubt, eine der alternativen Methoden, die mir als Krankheitsbehandlungen bis dahin selbstverständlich waren und die ich gewissenhaft angewendet hatte, würde greifen und den Tumor zum Verschwinden bringen, wusste ich nun, dass, wollte ich weiterleben, andere Kaliber notwendig waren. Das Tracheostoma bekam ich also keinen Moment zu früh und Gottseidank auch keinen Moment zu spät. Mit örtlicher Betäubung als Notfall am Feiertag. Welches Glück, dass es Ärzte gibt, die zu solchen Diensten und Maßnahmen bereit und in der Lage sind.
Es folgten bis zur OP 3 Wochen in der Uniklinik, in denen weitere Untersuchungen gemacht und die alte Diagnose bestätigt wurde. Plattenepitelkarzinom, durch den Kehlkopf, ziemlich groß (3-4). Die dortigen Ärzte stellten mir beide Behandlungsmöglichkeiten vor, empfahlen mir nach- und eindrücklich die komplette Entnahme des Kehlkopfs und ließen mir Zeit und Ruhe für die Entscheidung. Ich entschied: Strahlentherapie mit Chemo, das hätte die Möglichkeit geborgen, dass das Tracheostoma eines Tages wieder zuwachsen könnte und ich wieder „normal“ durch Mund und Nase atmen können würde. Das wollte ich. Eine Behandlung, die im „Normalen“ münden sollte. Die Ärzte nickten, berichteten von der Prognose der Strahlenärztin in der Tumorkonferenz, die in meinem Fall ohne OP nur von 10% Überlebenschance  sprach, und „zwangen“ mich zu einem Informationsgespräch mit dem Patientenbetreuer des Kehlkopflosenverbandes und einer der klinikeigenen Logopädinnen. Ich war im Widerstand, fand schon das Wort kehlkopflos gruselig und mochte mit niemandem sprechen, dessen Stimme ungewöhnlich ist und der sich beim Sprechen an den Hals fassen muss. Geduldig ertrugen beide meine Argumente und meine Ablehnung. Und zum Ende des Gesprächs wusste ich, dass, wollte ich weiterleben, an der vollständigen Entnahme des Kehlkopfs kein Weg vorbeiführt.
Noch auf dem Rückweg in die Station traf ich den zuständigen Stationsarzt auf dem Gang, bedankte mich für den Zwang und bat um die OP. Dazu hatte er mich vorsichtshalber schon angemeldet und erlaubte mir die Woche bis dahin in den sicheren Mauern der Klinik zu bleiben. Wer weiß, ob ich, einmal außerhalb des Krankenhauses jemals wieder zu einer solchen OP zurückgekehrt wäre. Was auch immer auf mich zukäme, mittlerweile war ich in meine Entscheidung hineingewachsen und komplett einverstanden damit.
Am 24. Mai 2018 wurde mir also in einer 10 stündigen Operation der Kehlkopf (Laryngektomie) und die Lymphknoten und Lymphe im Hals komplett herausoperiert (Neck-dissection). Auch hier wieder: dass es Ärzte gibt, die persönlich zu einer solchen Tortur bereit sind, finde ich wundervoll und bin den beiden operierenden so wie allen Ärzten, mit denen ich in der Uniklink zu tun hatte und habe sehr dankbar.
Der enorme Lymphstau in meinem aufs doppelte angeschwollene Gesicht war nach etwas 6 Wochen Geschichte und ich sah bis auf die von Ohr zu Ohr gehende Narbe und das darunterliegende Loch im Hals wieder quasi so aus wie vorher.
2 Wochen lang wurde ich durch einen Nasenschlauch ernährt und nachdem das Breischluckröntgen ergab, dass der Brei den für ihn gedachten Weg durch die Speiseröhre nahm, durfte ich vorsichtig wieder mit Essen beginnen und wurde bald darauf entlassen in ein alltägliches Leben ohne Kehlkopf, ohne Stimme und ohne meine altbekannte Arroganz der Schulmedizin gegenüber. Ich kann wirklich nicht mehr sagen, was gut und was schlecht ist. Beides ist beides. Und die Wahrheit liegt dazwischen oder auf einer anderen Ebene.


Was war und ist nun ohne Kehlkopf anders 
und wie spreche ich nun?

Grob und vereinfacht gesagt war der Kehlkopf dafür zuständig, zu bemerken, ob ich atmen oder schlucken will und hat je nachdem die Luft- oder die Speiseröhre geöffnet. Jetzt wo er fehlt, endet nur noch meine Speiseröhre im Rachenraum. Die Luftröhre endet am Tracheostoma, dem Loch im Hals. Ich atme also automatisch durch dieses Loch und mit Mund und Nase ist atmen nicht mehr möglich. Mich kann man also weder durch Mund- noch durch Nasezuhalten zum Ersticken bringen. Solange der Hals frei ist, kann ich atmen.

Die Atemluft muss jetzt durch eine Art Filter laufen (das ist der „Knopf“, der auf einer Kanüle sitzt, die das Loch am Zuwachsen hindert, und nun meinen Hals ziert), da der Weg von der Nase bis zum Hals beim Atmen fehlt und die Luft im Grunde sofort in die Lunge gelangt. Ich schleime also beim Niesen oder Husten nicht mehr durch Mund oder Nase, sondern durch das Loch im Hals. Um diesen Schleim geschmeidig zu halten und das Zusetzen der Luftröhre zu verhindern, muss ich mehrmals am Tag „vernebeln“, NaCl-Dampf einatmen.
Mit dem Kehlkopf wurden die Stimmbänder entfernt, d.h. auf normalem Wege ist mir das Sprechen unmöglich. In dieser Hinsicht kommt auch nix wieder. Sprache kommt nun im günstigen Fall anders zustande. Und dafür gibt es drei Möglichkeiten.
Erstens die sogenannte Ösophagusstimme. Bei der wird Luft geschluckt und anschließend durch die Speiseröhre nach oben gedrückt. Die Lautbildung erfolgt dann durch Schwingung im Rachen. Diese Stimme hat wenig Luft zur Verfügung, wird durch eine Art Rülpsen verursacht und führt, wenn es klappt, zu kurzen möglichen Sätzen. Das ist die einzig mögliche Sprache ohne Hilfsmittel.  Ich kann sie (noch) nicht.
Mir wurde zwischen Speise- und Luftröhre, in der Höhe des Atemlochs, ein kleines Ventil eingebaut. Es ist ein Shuntventil und wird Provox oder Stimmventil genannt. Das soll dafür sorgen, dass die gesamte eingeatmete Luft, ohne Umweg durch den Magen, sofort durch die Speiseröhre nach oben in den Rachen und Mundraum gedrückt wird und dort durch Schwingung Laute und Worte erzeugt. Bei vielen Betroffenen funktioniert dieses System sofort, bei einigen erst viel später, und bei manchen nie. Es können sowohl Verspannungen als auch organische Hemmnisse im Weg stehen.
Bei mir hat es nicht sofort (und bis heute nicht) geklappt und es war nicht so einfach eine Logopädin mit Erfahrung mit Kehlkopflosen zu finden, die Kapazitäten frei hat. Mein Ventil (bereits das 3. Eingesetzte ist durchlässig, befördert die Luft aber nicht nach oben in den Mundraum, sondern schnurstracks in den Magen, von wo ich sie nicht nach oben gelenkt bekomme (wäre dann, vereinfacht gesagt, die erste beschriebene Stimme).
Mittlerweile weiß ich viel über meinen neuen Zustand, bemerke Verspannungen, übe das Entspannen bestimmter Körperregionen und allgemeiner Zustände und werde nun (endlich) regelmäßige Sitzungen bei einer sehr erfahrenen Logopädin haben.
Bis dahin benutze ich eine digitale Sprechhilfe, die ich mir während ich lautlos spreche an den Hals halte. Das handliche Gerät formt aus den Schallwellen verständliche Sprache, untermalt von einem Gerätebrummen, das in der Kombination ein bisschen an Außerirdischen-Sprech erinnert, aber enorm praktisch ist. Ich kann einfach Quatschen und werde in ruhiger Umgebung gut verstanden. Das begleitende Brummen ist zu Beginn irritierend, es scheint aber möglich zu sein sich daran zu gewöhnen.
Wenn ich das Gerät nicht zur Hand habe, flüstere ich kaum hörbar mit dem bisschen Restluft im Mund- und Rachenraum. Das nennt sich Pseudoflüstern und ist in sehr ruhiger Umgebung in Verbindung mit meinen Mundbewegungen für Geübte verständlich.
Das Stimmventil ist ein fragiles Ding, dass eine Lebensdauer von sehr kurz bis zu einem Jahr hat und dann ausgetauscht werden muss. Von einem HNOarzt, der dazu bereit und in der Lage ist. Es kann nicht gut sitzen, ein bisschen oder komplett undicht sein oder von jetzt auf gleich werden. Komplett undicht heißt, Geschlucktes landet (auch) in der Lunge. Komplett undicht heißt: sofort wechseln. Ein bisschen Leck heißt: Ursache suchen usw. Langer Rede kurzer Sinn: mit dem Stimmventil bin ich sehr abhängig von Ärzten und der Nähe zu Ärzten, die solche Prothesen wechseln, kann aber ohne zusätzliches Gerät sprechen, wenn ich es denn kann. Bin also insofern unabhängiger als ohne Ventil.
Vielleicht ist deutlich geworden, dass ich mit meiner Gesamtsituation sehr einverstanden bin, die komplette Annahme das Ventil betreffend aber noch aussteht. Daran „arbeite“ ich. Wenn‘s klappt, super. Dann sollte auch das Sprechen eines Tages klappen. Wenn nicht, dann lasse ich das Ventil wieder entnehmen und brauche dann dafür einen guten Arzt und Daumendrücker, dass die Verbindung zwischen Luft- und Speiseröhre wieder zuwächst. Aber bis dahin lasse ich mir noch ein halbes Jahr Zeit, übe und quatsche halt wie ein Alien oder halte meinen Mund.
Das ist sowieso gar nicht mal so selten das Beste und mindestens eine interessante Erfahrung.




5 Kommentare:

  1. Liebe Brigitta, heute morgen war ich auf einer ganz anderen seite bei dir da ich "bei der Startseite einfuhr."
    Dass es auf deinen Bericht vom November 2018 noch keinen Kommentar gab, scheint ihn keiner deiner bisherigen Leser gefunden, gesucht und lesenswillig dazu gewesen zu sein.
    du siehst mich voller Interesse für dein Krankheitsbild und ich bewundere dich um deinen enormen Mut,wobei du wahrscheinlich nicht viel andere Arternativen hattest.
    Obwohl Arzthelferin, vieles weiß man nicht je nachdem in welcher Fachrichtung man sich weiterbildet oder arbeitet, dies war mir zum Teil sehr neu.
    Bin noch nicht durch in all deinen Berichten,Artikeln und Episoden sehe aber wie wichtig doch Wissen ist.
    hab vielen Dank für die bisher geschriebenen sehr interessanten Ausführungen enes Krankheitsbildes das bestimmt seltener ist, aber für die betroffenen eminent wichtig dass man darüber spricht.
    Du hast mene Hochachtung und meinen Respekt, meine Sympathie und mein Interesse an weiteren Posts von dir..
    wie du damit umgehst.
    herzlichst angelface

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    1. Ach du nette liebe angel. Stimmt, ich hatte deinen Kommentar noch nicht entdeckt. Mal werde ich benachrichtigt und mal nicht ... habe ihn erst durch deinen heutigen entdeckt, den habe ich bei dir auf dem Blog beantwortet.
      Stimmt, ich hatte letztlich über die Vorgehensweise nicht mehr viel Wahl. Die Entscheidung war letztlich quasi alternativlos. Aber im Annehmen dessen wie es ist, habe ich eine Wahl und die habe ich gottseidank gut machen können. Ich habe meine Situation komplett (vielleicht sogar ein bisschen dankbar) angenommen. Das Leben ist wie es ist.
      Eine weise Lehrerin sagte mal: wir verursachen das Leid in unseren selbst, indem wir die Dinge immer anders wollen als sie sind. + woran erkenne ich, dass das was ist, genauso sein soll? Daran, dass es so ist.
      Daran orientiere ich mich.
      Herzlichen Dank für dein Interesse und die herzlichsten Grüße und alles Liebe dir
      Brigitta

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  2. liebe Brigitta....da wir hier ja anscheinend ganz alleine kommunizieren":-)) beantworte ich dir deine FRage was ich habe die du auf meinem letzten Post stelltest, lieber hier...

    setze dir den Link hier ein: der erklärt was es ist...
    https://wokinisblog.blogspot.com/2019/11/was-andert-sich-alles-oder-nichts.html
    in der Hoffnung, dass du ihn findest und anklicken kannst.
    Wenn nicht dann google mal HOCM da stehts was es ist...
    Seit Oktober 2019 bin ich mit einem Herzschrittmacher nach Hause gekommen/nachdem die 3 vorher bei der OP gelegt wurden, wieder " ausgebaut waren..".
    das wollte ich nun im Kommentar nicht so ausführlich schreiben, dir aber gerne deine Frage beantworten und setze sie deshalb hier ein...
    ich vermute, du hattest den o.eingefügten Kommentar zu deiner geschichte noch nicht gelesen?
    herzlichst
    liebe Grüße angel

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  3. liebe Brigitta
    ist es eigentlich absichtlich dass man durch das anklicken deiner Links im Blog nicht in die Manuscriptschublade kommt weil diese fehlt?
    ich hab mich ja erst ein wenig bei dir durchwursteln müssen und wurde schon nach deinen Seiten befragt.
    Wußte nun aber nicht wenn ich auf sie hinweise ob dir das recht ist, hab deshalb den Hinweis in der Kommentarantwort nicht verlinkt.
    Darf ich fragen wie es dir heute geht?
    denn der Bericht siehe oben ist ja der Zustand in 2018 und wurde danach nicht mehr zusätzlich ergänzt wenn ich mich recht erinnere was ich danach alles bei dir gelesen habe...
    heute ganz liebe Grüße
    angelface
    als kleiner Zusatz...
    all das ist mir nicht mehr fremd, damit meine ich wie es ist mit einem Zusatzgerät zu leben.
    Mein Bruder in Canada hat seit 5 Jhr. ein künstliches Herz, bzw.eine Pumpe die durch Akkus außerhalb des Körpers betrieben und aufgeladen wird und damit sein Leben erhält.
    Diese Berichte halten einen ganz schön wach und bewusst dass nichts selbstverständlich ist, was das Leben an sich angeht...

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    1. Ich weiß nicht, welcher Link fehlt. Was auch immer es ist, es ist keine Absicht.

      Gerne kannst du alle Links weiter geben, das ist ja alles zum Lesen da.

      Mir geht es heute prima. Ich atme halt durch den Hals und nicht mehr durch Mund und Nase.

      Ich fühle mich im Grunde gesund und habe mich gut an die neue Art meines Körpers gewöhnt.

      Ich hatte Glück.

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Manchmal ist weniger mehr oder adieu Fistel, hello Servox

Eine sogenannte Stimmprothese ist ein kleines Plastikteil, das in eine Fistel eingefügt wird, die in die Wand zwischen (ehemaliger) L...