Sonntag, 30. Dezember 2018

Manchmal ist weniger mehr oder adieu Fistel, hello Servox





Eine sogenannte Stimmprothese ist ein kleines Plastikteil, das in eine Fistel eingefügt wird, die in die Wand zwischen (ehemaliger) Luftröhre und Speiseröhre gebohrt wurde. Diese Fistel sollte eine bestimmte Größe nicht überschreiten, da die Prothesen in der „Breite“ genormt sind. Die Größe ist variabel und bezieht sich auf die „Tiefe“.


In meinem Fall war die Fistel in der „Breite“ von Anfang an etwas zu groß. Jedenfalls so viel, dass sich stetig minimal kleine Flüssigkeitströpfchen den Weg von der Speiseröhre direkt in die Lunge bahnten. Woran ich das merkte? Wenn ich Farbiges wie Schokolade oder Kürbissuppe aß oder Kaffee trank war der Schleim in meiner Kanüle ebenso gefärbt.

Außerdem war das erste Ventil, das mir bereits bei der KehlkopfOP eingesetzt worden war, so groß, dass es mir das Einsetzen der Kanüle enorm erschwerte bzw. manches Mal beinahe verunmöglichte.

Beim „Freipusten“ durch die Ärzte gelangte die Luft in großer Menge sofort statt in meinen Mundraum in den Magen. Bei Anstrengung landete ebenfalls jede Menge Luft im Magen und verursachte nicht selten Sodbrennen.

Bei Entlassung aus dem Krankenhaus hoffte ich auf die Hilfe und Erklärungen einer ortsansässigen Logopädin und des niedergelassenen HNOarztes zu dem ich laut Klinik gehen sollte. Die Logopädin hatte wenig Erfahrung mit meinem Krankheitsbild und noch niemals eine Stimmprothese im Tracheostoma ohne Kanüle betrachtet und der Arzt sagte: abwarten und wenn was ist, ab in die Uniklinik.

In der Uniklink setzen sie mir nach einigem Hin und Her eine kleinere Stimmprothese ein. Das erleichterte das Wechseln der Kanüle, veränderte aber nicht das hohe Schleimaufkommen und die Farbe des Schleims bei farbigen Getränken oder Speisen. Das sei normal, hieß es und weiter nicht schlimm.

Langsam lernte ich, dass ich selbst begreifen müsste, wo das Problem lag. Einen Arzt zu finden, der Zeit und Erfahrung genug hätte, mit mir zu forschen, erschien mir schon bald fast unmöglich. 

Eine Hoffnung hatte ich noch während ich die Lockerungs- und Sprechübungen mit der sehr netten, aber leider ja unerfahrenen Logopädin auf diesem Gebiet, machte, denn mir wurde eine Rehamaßnahme genehmigt. Zu verdanken habe ich das der Aufmerksamkeit und Penetranz meines Mannes. Im Krankenhaus hatten sie mich nicht darauf aufmerksam gemacht, dass mir das zusteht und ich wusste es nicht.

Die Logopädin in der Rehaklinik übte nicht wirklich mit mir, sondern ließ im Wesentlichen zweimal den klinikeigenen HNOarzt nach dem Ventil gucken und es mit dem bekannten Ergebnis freipusten. Der riet dann, nach der Kur im KH unter Narkose prüfen zu lassen, ob es z.B. wildes Fleisch auf der Speiseröhrenseite gäbe. Das war bereits einige Wochen vorher überprüft worden. Mit dem Ergebnis: alles in Ordnung, müsste eigentlich sprechen können, logopädisches Problem. Von einer Leckage wollte er nichts wissen und hatte auch nicht viel Lust, das genau zu überprüfen oder mir ein Ventil mit breiterem Wulst anzufordern und einzusetzen. Man könnte auch sagen, wir zwei kamen nicht besonders gut miteinander zurecht.

Meine Hoffnung auf Hilfe wäre also während der Kur beinahe gegen Null geschrumpft hätte ich nicht während der kleinen ÜberprüfungsOP einige wenige Logopädiesitzungen bei einer der sehr erfahrenen Krankenhauslogopädinnen gehabt, die mir viel Mut gemacht hatte, dass das Sprechen mit der Zeit und Übung vermutlich von selbst käme. Dieser Logopädin, die mich im Krankenhaus nach meiner Entlassung nur noch kurz weiter behandeln durfte und in der Praxis, die sie zwei halbe Tage pro Woche betreibt keine freien Termine hatte, hatte ich mich schon damals so penetrant aufgedrängt, dass sie mir für November (die große OP war im Mai, die kleine Überprüfung im Juli) einen Termin gegeben hat.

Sie war es dann auch, die sich die Zeit genommen hat, sich mit mir gemeinsam ganz genau und geduldig das Tracheostoma und das Ventil beim Schlucken farbiger Flüssigkeiten zu betrachten. Mit ihr haben wir herausgefunden, dass die Außenleckage nur mit Druck, also mit eingeführter Kanüle zum Tragen kam. Sie empfahl mir in der Klinik ein Ventil mit größerem Wulst einsetzen zu lassen. Gesagt, getan. Ergebnis: Druckschmerz beim Schlucken.

Mittlerweile war ich sehr sehr genervt von diesem Fremdkörper in meinem Hals, der so viele Probleme machte, aber nicht so funktionierte wie er angeblich sollte. Ich flüsterte immer noch, bzw. sprach mit der elektronischen Sprechhilfe, die man mir in der Kur empfohlen und besorgt hatte. Das klappte von Tag zu Tag besser und manch einer, der mich damit sprechen hörte, sagte, dass er normalerweise die Menschen, die mithilfe dieser Servox genannten Sprechhilfe sprechen, kaum verstehen könne, ich aber leicht zu verstehen sei.

Als ich meine Genervtheit und Zweifel zum wiederholten Male bei dieser wunderbaren, aufmerksamen und geduldigen Logopädin ansprach, stellte sie mir wesentliche und wichtige Fragen und hörte sich sowohl meine spontanen als auch die schon lange überlegten Antworten an. Als sie sich nach einiger Zeit zurücklehnte, während ich wieder wortreich über die Möglichkeit des Fistelverschlusses sinnierte, und sagte: ich glaube, sie haben sich längst entschieden, wusste ich, dass sie recht hatte und alles ging ziemlich schnell und gut.

Ein paar Tage später hatte ich eh einen Termin in der Poliklinik der Uniklinik, wegen der Besprechung meines CTs, das ein halbes Jahr nach der OP gemacht worden war. Es war ohne Befund. Juhu! Krebsfrei!

Dort habe ich die Entscheidung: Fistel zuwachsen lassen, bzw. zumachen mitgeteilt. Die Ärztin fragte, ob ich gleich da bleiben wolle. Ich wollte. Sie holte das Ventil heraus, setzte mir eine geblockte Kanüle ein und führte mir die Magensonde für die künstliche Ernährung durch die Nase ein. Schnell noch Blut entnommen, kurz mit der mir bereits sehr vertrauten Station telefoniert und hochgeschickt. Dort habe ich dann noch ein paar Stündchen auf ein Bett gewartet und mich dann wieder häuslich eingerichtet.

Gut eine Woche lang wurde im Grunde nur abgewartet und täglich das Schrumpfen der Fistel betrachtet. Am Ende der Woche war sie ziemlich zugewachsen, aber noch nicht vollständig. Also wurde beschlossen, den Verschluss operativ zu versuchen. Mir wurde gesagt (und das wusste ich auch schon zum Zeitpunkt meiner Entscheidung), dass es klappen kann, aber nicht muss. 

Der Ort des Geschehens ist Schleimhaut. Ein auf das Löchlein geklapptes Stück Haut/Muskel kann festwachsen, muss es aber nicht und wenn es festwächst, könnte es sich auch wieder ablösen. Was für einen möglichen Erfolg aus meiner Sicht sprach, war die Tatsache, dass ich nicht bestrahlt war (das verzögert im Normalfall Heilungen) und extrem wild entschlossen war, ohne dieses doofe Sprechventil zu leben.

Langer Rede kurzer Sinn. Es hat geklappt. Nach insgesamt fast drei Wochen wurde ich entlassen. Die Situation im Tracheostoma sieht aus, als gäbe es immer noch eine Undichtigkeit zur Speiseröhre hin. Es ist aber alles dicht. Das sagt der Breischluck, das wiederholte Trinken farbiger Flüssigkeit unter wechselnder ärztlicher Beobachtung und vor allem mein Gefühl und meine Beobachtung.
Ich bin kaum noch verschleimt, der Schleim ist niemals farbig, egal, was ich essen und ich schlucke kaum noch Luft, auch nicht bei großer körperlicher Anstrengung. Ich fühle mich bis auf die Tatsache, dass ich ungewöhnlich durch den Hals atme, eine Kanüle im Halsloch habe und mir zum Sprechen einen elektronischen Stab unters Kinn halte, gesund und wieder frei.

Mit Stimmventil, das ja mit der Zeit verschleißt und dann plötzlich gewechselt werden muss und meiner Erfahrung, dass es außerhalb einer Uniklinik schon in Deutschland nicht so einfach ist einen Arzt zu finden, der das macht, habe ich mich nicht mehr getraut zu verreisen und hatte mir diesbezügliche Wünsche klugerweise abgeschminkt. Aber nun bin ich wieder frei, mich auf dieser Welt zu bewegen, wohin ich will. Schöne Sache, das.

Warum ich das hier alles so lang und breit erzähle?
Weil ich möchte, dass die Menschen, denen ich auch im analogen Leben begegne bzw. begegnen könnte, wissen, dass ich mithilfe der Servox spreche und sie entscheiden können, ob sie sich auf das Abenteuer einer solchen Begegnung einlassen wollen, bzw. wissen, dass es für ein Gespräch mit mir ruhige Orte braucht.

Und weil ich teilen wollte, dass zumindest in meinem Fall der neueste Stand der Technik nicht das Beste war, sondern der Verzicht darauf meine Lebensqualität enorm erhöht hat.

Vielleicht wäre es gut, bei den Beratungen vor der Kehlkopfentnahme, die Möglichkeit des Sprechens mit dem elektronischen „Stab“ als gleichwertig mit dem Sprechen mittels Sprechventil zu erwähnen. Ich habe von Kliniken und Ärzten gehört, die grundsätzlich erst einmal kein Sprechventil verbauen, sondern empfehlen, mithilfe der Servox zu sprechen und die körpereigene Ruktusstimme zu erlernen. Das finde ich gut. Wer dann später eine Fistel will, weil alles andere nicht klappt, kann sie sich ja operieren lassen.

Und ein wichtiger Grund ist es, einen Abschluss zu meiner Krankengeschichte zu kommunizieren.

Ich bin nun also wieder so zufrieden und wiederhergestellt, dass das Erlernen der Ruktusstimme bei der tollen Logopädin ab Januar klappen darf, aber nicht muss. Welches Glück. Insgesamt.

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