Sonntag, 30. Dezember 2018

Manchmal ist weniger mehr oder adieu Fistel, hello Servox





Eine sogenannte Stimmprothese ist ein kleines Plastikteil, das in eine Fistel eingefügt wird, die in die Wand zwischen (ehemaliger) Luftröhre und Speiseröhre gebohrt wurde. Diese Fistel sollte eine bestimmte Größe nicht überschreiten, da die Prothesen in der „Breite“ genormt sind. Die Größe ist variabel und bezieht sich auf die „Tiefe“.


In meinem Fall war die Fistel in der „Breite“ von Anfang an etwas zu groß. Jedenfalls so viel, dass sich stetig minimal kleine Flüssigkeitströpfchen den Weg von der Speiseröhre direkt in die Lunge bahnten. Woran ich das merkte? Wenn ich Farbiges wie Schokolade oder Kürbissuppe aß oder Kaffee trank war der Schleim in meiner Kanüle ebenso gefärbt.

Außerdem war das erste Ventil, das mir bereits bei der KehlkopfOP eingesetzt worden war, so groß, dass es mir das Einsetzen der Kanüle enorm erschwerte bzw. manches Mal beinahe verunmöglichte.

Beim „Freipusten“ durch die Ärzte gelangte die Luft in großer Menge sofort statt in meinen Mundraum in den Magen. Bei Anstrengung landete ebenfalls jede Menge Luft im Magen und verursachte nicht selten Sodbrennen.

Bei Entlassung aus dem Krankenhaus hoffte ich auf die Hilfe und Erklärungen einer ortsansässigen Logopädin und des niedergelassenen HNOarztes zu dem ich laut Klinik gehen sollte. Die Logopädin hatte wenig Erfahrung mit meinem Krankheitsbild und noch niemals eine Stimmprothese im Tracheostoma ohne Kanüle betrachtet und der Arzt sagte: abwarten und wenn was ist, ab in die Uniklinik.

In der Uniklink setzen sie mir nach einigem Hin und Her eine kleinere Stimmprothese ein. Das erleichterte das Wechseln der Kanüle, veränderte aber nicht das hohe Schleimaufkommen und die Farbe des Schleims bei farbigen Getränken oder Speisen. Das sei normal, hieß es und weiter nicht schlimm.

Langsam lernte ich, dass ich selbst begreifen müsste, wo das Problem lag. Einen Arzt zu finden, der Zeit und Erfahrung genug hätte, mit mir zu forschen, erschien mir schon bald fast unmöglich. 

Eine Hoffnung hatte ich noch während ich die Lockerungs- und Sprechübungen mit der sehr netten, aber leider ja unerfahrenen Logopädin auf diesem Gebiet, machte, denn mir wurde eine Rehamaßnahme genehmigt. Zu verdanken habe ich das der Aufmerksamkeit und Penetranz meines Mannes. Im Krankenhaus hatten sie mich nicht darauf aufmerksam gemacht, dass mir das zusteht und ich wusste es nicht.

Die Logopädin in der Rehaklinik übte nicht wirklich mit mir, sondern ließ im Wesentlichen zweimal den klinikeigenen HNOarzt nach dem Ventil gucken und es mit dem bekannten Ergebnis freipusten. Der riet dann, nach der Kur im KH unter Narkose prüfen zu lassen, ob es z.B. wildes Fleisch auf der Speiseröhrenseite gäbe. Das war bereits einige Wochen vorher überprüft worden. Mit dem Ergebnis: alles in Ordnung, müsste eigentlich sprechen können, logopädisches Problem. Von einer Leckage wollte er nichts wissen und hatte auch nicht viel Lust, das genau zu überprüfen oder mir ein Ventil mit breiterem Wulst anzufordern und einzusetzen. Man könnte auch sagen, wir zwei kamen nicht besonders gut miteinander zurecht.

Meine Hoffnung auf Hilfe wäre also während der Kur beinahe gegen Null geschrumpft hätte ich nicht während der kleinen ÜberprüfungsOP einige wenige Logopädiesitzungen bei einer der sehr erfahrenen Krankenhauslogopädinnen gehabt, die mir viel Mut gemacht hatte, dass das Sprechen mit der Zeit und Übung vermutlich von selbst käme. Dieser Logopädin, die mich im Krankenhaus nach meiner Entlassung nur noch kurz weiter behandeln durfte und in der Praxis, die sie zwei halbe Tage pro Woche betreibt keine freien Termine hatte, hatte ich mich schon damals so penetrant aufgedrängt, dass sie mir für November (die große OP war im Mai, die kleine Überprüfung im Juli) einen Termin gegeben hat.

Sie war es dann auch, die sich die Zeit genommen hat, sich mit mir gemeinsam ganz genau und geduldig das Tracheostoma und das Ventil beim Schlucken farbiger Flüssigkeiten zu betrachten. Mit ihr haben wir herausgefunden, dass die Außenleckage nur mit Druck, also mit eingeführter Kanüle zum Tragen kam. Sie empfahl mir in der Klinik ein Ventil mit größerem Wulst einsetzen zu lassen. Gesagt, getan. Ergebnis: Druckschmerz beim Schlucken.

Mittlerweile war ich sehr sehr genervt von diesem Fremdkörper in meinem Hals, der so viele Probleme machte, aber nicht so funktionierte wie er angeblich sollte. Ich flüsterte immer noch, bzw. sprach mit der elektronischen Sprechhilfe, die man mir in der Kur empfohlen und besorgt hatte. Das klappte von Tag zu Tag besser und manch einer, der mich damit sprechen hörte, sagte, dass er normalerweise die Menschen, die mithilfe dieser Servox genannten Sprechhilfe sprechen, kaum verstehen könne, ich aber leicht zu verstehen sei.

Als ich meine Genervtheit und Zweifel zum wiederholten Male bei dieser wunderbaren, aufmerksamen und geduldigen Logopädin ansprach, stellte sie mir wesentliche und wichtige Fragen und hörte sich sowohl meine spontanen als auch die schon lange überlegten Antworten an. Als sie sich nach einiger Zeit zurücklehnte, während ich wieder wortreich über die Möglichkeit des Fistelverschlusses sinnierte, und sagte: ich glaube, sie haben sich längst entschieden, wusste ich, dass sie recht hatte und alles ging ziemlich schnell und gut.

Ein paar Tage später hatte ich eh einen Termin in der Poliklinik der Uniklinik, wegen der Besprechung meines CTs, das ein halbes Jahr nach der OP gemacht worden war. Es war ohne Befund. Juhu! Krebsfrei!

Dort habe ich die Entscheidung: Fistel zuwachsen lassen, bzw. zumachen mitgeteilt. Die Ärztin fragte, ob ich gleich da bleiben wolle. Ich wollte. Sie holte das Ventil heraus, setzte mir eine geblockte Kanüle ein und führte mir die Magensonde für die künstliche Ernährung durch die Nase ein. Schnell noch Blut entnommen, kurz mit der mir bereits sehr vertrauten Station telefoniert und hochgeschickt. Dort habe ich dann noch ein paar Stündchen auf ein Bett gewartet und mich dann wieder häuslich eingerichtet.

Gut eine Woche lang wurde im Grunde nur abgewartet und täglich das Schrumpfen der Fistel betrachtet. Am Ende der Woche war sie ziemlich zugewachsen, aber noch nicht vollständig. Also wurde beschlossen, den Verschluss operativ zu versuchen. Mir wurde gesagt (und das wusste ich auch schon zum Zeitpunkt meiner Entscheidung), dass es klappen kann, aber nicht muss. 

Der Ort des Geschehens ist Schleimhaut. Ein auf das Löchlein geklapptes Stück Haut/Muskel kann festwachsen, muss es aber nicht und wenn es festwächst, könnte es sich auch wieder ablösen. Was für einen möglichen Erfolg aus meiner Sicht sprach, war die Tatsache, dass ich nicht bestrahlt war (das verzögert im Normalfall Heilungen) und extrem wild entschlossen war, ohne dieses doofe Sprechventil zu leben.

Langer Rede kurzer Sinn. Es hat geklappt. Nach insgesamt fast drei Wochen wurde ich entlassen. Die Situation im Tracheostoma sieht aus, als gäbe es immer noch eine Undichtigkeit zur Speiseröhre hin. Es ist aber alles dicht. Das sagt der Breischluck, das wiederholte Trinken farbiger Flüssigkeit unter wechselnder ärztlicher Beobachtung und vor allem mein Gefühl und meine Beobachtung.
Ich bin kaum noch verschleimt, der Schleim ist niemals farbig, egal, was ich essen und ich schlucke kaum noch Luft, auch nicht bei großer körperlicher Anstrengung. Ich fühle mich bis auf die Tatsache, dass ich ungewöhnlich durch den Hals atme, eine Kanüle im Halsloch habe und mir zum Sprechen einen elektronischen Stab unters Kinn halte, gesund und wieder frei.

Mit Stimmventil, das ja mit der Zeit verschleißt und dann plötzlich gewechselt werden muss und meiner Erfahrung, dass es außerhalb einer Uniklinik schon in Deutschland nicht so einfach ist einen Arzt zu finden, der das macht, habe ich mich nicht mehr getraut zu verreisen und hatte mir diesbezügliche Wünsche klugerweise abgeschminkt. Aber nun bin ich wieder frei, mich auf dieser Welt zu bewegen, wohin ich will. Schöne Sache, das.

Warum ich das hier alles so lang und breit erzähle?
Weil ich möchte, dass die Menschen, denen ich auch im analogen Leben begegne bzw. begegnen könnte, wissen, dass ich mithilfe der Servox spreche und sie entscheiden können, ob sie sich auf das Abenteuer einer solchen Begegnung einlassen wollen, bzw. wissen, dass es für ein Gespräch mit mir ruhige Orte braucht.

Und weil ich teilen wollte, dass zumindest in meinem Fall der neueste Stand der Technik nicht das Beste war, sondern der Verzicht darauf meine Lebensqualität enorm erhöht hat.

Vielleicht wäre es gut, bei den Beratungen vor der Kehlkopfentnahme, die Möglichkeit des Sprechens mit dem elektronischen „Stab“ als gleichwertig mit dem Sprechen mittels Sprechventil zu erwähnen. Ich habe von Kliniken und Ärzten gehört, die grundsätzlich erst einmal kein Sprechventil verbauen, sondern empfehlen, mithilfe der Servox zu sprechen und die körpereigene Ruktusstimme zu erlernen. Das finde ich gut. Wer dann später eine Fistel will, weil alles andere nicht klappt, kann sie sich ja operieren lassen.

Und ein wichtiger Grund ist es, einen Abschluss zu meiner Krankengeschichte zu kommunizieren.

Ich bin nun also wieder so zufrieden und wiederhergestellt, dass das Erlernen der Ruktusstimme bei der tollen Logopädin ab Januar klappen darf, aber nicht muss. Welches Glück. Insgesamt.

Mittwoch, 7. November 2018

Wie ich zur kehlkopflosen Halsatmerin wurde + Was war und ist nun ohne Kehlkopf anders + Wie spreche ich?

Wie ich zur kehlkopflosen Halsatmerin wurde 

Gestern vor genau einem Jahr stand der Arzt an meinem Dürener Krankenhaus-Bett und sagte mir, die ich noch im Aufwachen begriffen war, dass die Ursache für meine starke und schon lange andauernde Heiserkeit ein ausgewachsener Tumor im und am Kehlkopf sei. „Aber das ist doch kein Todesurteil. Ist ja alles behandelbar“, sagte er wohl mehr zu sich selbst als zu mir, denn für mich hörte sich das damals (noch) nicht nach Todesurteil an. Die Biopsie war entnommen, CTS folgten und ich verweigerte (zunächst) weitere schulmedizinische Behandlungen, weil ich viele Krebsfälle kannte, die alternativ geheilt wurden und sowieso davon erzeugt war, dass körperliche Symptome lediglich psychisch/spirituelle Schwierigkeiten sichtbar machen. Löse diese Schwierigkeit und das Symptom verschwindet. So habe ich gedacht. Dafür kannte ich viele Methoden und lernte im Laufe des darauffolgenden halben Jahres weitere (auch körperliche) kennen.
Das Angebot der Schulmedizin war und ist im Fall von Kehlkopfkrebs: sehr hohe Strahlentherapie kombiniert mit leichter Chemotherapie oder komplette Entnahme des Kehlkopfs. Beides, in meiner bis dahin ablehnenden Haltung der Schulmedizin gegenüber, undiskutierbar brutale Vorgehensweisen. Damals konnte ich ja noch auf normalem Wege atmen und krächzend sprechen.
Möglichkeit 1 hätte ziemlich sicher zu Atemschwierigkeiten und der Unfähigkeit zu schlucken, während und noch lange Zeit nach der Behandlung, geführt. Deshalb wäre bereits zu Beginn der Behandlung ein Luftröhrenschnitt gemacht und eine PEG gelegt worden, über die ich ernährt worden wäre. Die zweite Möglichkeit, die Kehlkopfentnahme bot dieser erste Arzt gar nicht an. Er behauptete, dass das in Deutschland schon einige Zeit nicht mehr gemacht würde, weil die Folgen zu gravierend wären.
Ziemlich genau ein halbes Jahr später bekam ich in der Uniklinik Köln diesen Luftröhrenschnitt, ein Loch im Hals mit Kanüle, ein Tracheostoma, weil ich kaum noch Luft bekam. Der Tumor war ein wenig gewachsen. Genug um mir das Atmen zu erschweren und ohne diese Maßnahme bald zu verunmöglichen.
Hatte ich während des vergangenen halben Jahres noch geglaubt, eine der alternativen Methoden, die mir als Krankheitsbehandlungen bis dahin selbstverständlich waren und die ich gewissenhaft angewendet hatte, würde greifen und den Tumor zum Verschwinden bringen, wusste ich nun, dass, wollte ich weiterleben, andere Kaliber notwendig waren. Das Tracheostoma bekam ich also keinen Moment zu früh und Gottseidank auch keinen Moment zu spät. Mit örtlicher Betäubung als Notfall am Feiertag. Welches Glück, dass es Ärzte gibt, die zu solchen Diensten und Maßnahmen bereit und in der Lage sind.
Es folgten bis zur OP 3 Wochen in der Uniklinik, in denen weitere Untersuchungen gemacht und die alte Diagnose bestätigt wurde. Plattenepitelkarzinom, durch den Kehlkopf, ziemlich groß (3-4). Die dortigen Ärzte stellten mir beide Behandlungsmöglichkeiten vor, empfahlen mir nach- und eindrücklich die komplette Entnahme des Kehlkopfs und ließen mir Zeit und Ruhe für die Entscheidung. Ich entschied: Strahlentherapie mit Chemo, das hätte die Möglichkeit geborgen, dass das Tracheostoma eines Tages wieder zuwachsen könnte und ich wieder „normal“ durch Mund und Nase atmen können würde. Das wollte ich. Eine Behandlung, die im „Normalen“ münden sollte. Die Ärzte nickten, berichteten von der Prognose der Strahlenärztin in der Tumorkonferenz, die in meinem Fall ohne OP nur von 10% Überlebenschance  sprach, und „zwangen“ mich zu einem Informationsgespräch mit dem Patientenbetreuer des Kehlkopflosenverbandes und einer der klinikeigenen Logopädinnen. Ich war im Widerstand, fand schon das Wort kehlkopflos gruselig und mochte mit niemandem sprechen, dessen Stimme ungewöhnlich ist und der sich beim Sprechen an den Hals fassen muss. Geduldig ertrugen beide meine Argumente und meine Ablehnung. Und zum Ende des Gesprächs wusste ich, dass, wollte ich weiterleben, an der vollständigen Entnahme des Kehlkopfs kein Weg vorbeiführt.
Noch auf dem Rückweg in die Station traf ich den zuständigen Stationsarzt auf dem Gang, bedankte mich für den Zwang und bat um die OP. Dazu hatte er mich vorsichtshalber schon angemeldet und erlaubte mir die Woche bis dahin in den sicheren Mauern der Klinik zu bleiben. Wer weiß, ob ich, einmal außerhalb des Krankenhauses jemals wieder zu einer solchen OP zurückgekehrt wäre. Was auch immer auf mich zukäme, mittlerweile war ich in meine Entscheidung hineingewachsen und komplett einverstanden damit.
Am 24. Mai 2018 wurde mir also in einer 10 stündigen Operation der Kehlkopf (Laryngektomie) und die Lymphknoten und Lymphe im Hals komplett herausoperiert (Neck-dissection). Auch hier wieder: dass es Ärzte gibt, die persönlich zu einer solchen Tortur bereit sind, finde ich wundervoll und bin den beiden operierenden so wie allen Ärzten, mit denen ich in der Uniklink zu tun hatte und habe sehr dankbar.
Der enorme Lymphstau in meinem aufs doppelte angeschwollene Gesicht war nach etwas 6 Wochen Geschichte und ich sah bis auf die von Ohr zu Ohr gehende Narbe und das darunterliegende Loch im Hals wieder quasi so aus wie vorher.
2 Wochen lang wurde ich durch einen Nasenschlauch ernährt und nachdem das Breischluckröntgen ergab, dass der Brei den für ihn gedachten Weg durch die Speiseröhre nahm, durfte ich vorsichtig wieder mit Essen beginnen und wurde bald darauf entlassen in ein alltägliches Leben ohne Kehlkopf, ohne Stimme und ohne meine altbekannte Arroganz der Schulmedizin gegenüber. Ich kann wirklich nicht mehr sagen, was gut und was schlecht ist. Beides ist beides. Und die Wahrheit liegt dazwischen oder auf einer anderen Ebene.


Was war und ist nun ohne Kehlkopf anders 
und wie spreche ich nun?

Grob und vereinfacht gesagt war der Kehlkopf dafür zuständig, zu bemerken, ob ich atmen oder schlucken will und hat je nachdem die Luft- oder die Speiseröhre geöffnet. Jetzt wo er fehlt, endet nur noch meine Speiseröhre im Rachenraum. Die Luftröhre endet am Tracheostoma, dem Loch im Hals. Ich atme also automatisch durch dieses Loch und mit Mund und Nase ist atmen nicht mehr möglich. Mich kann man also weder durch Mund- noch durch Nasezuhalten zum Ersticken bringen. Solange der Hals frei ist, kann ich atmen.

Die Atemluft muss jetzt durch eine Art Filter laufen (das ist der „Knopf“, der auf einer Kanüle sitzt, die das Loch am Zuwachsen hindert, und nun meinen Hals ziert), da der Weg von der Nase bis zum Hals beim Atmen fehlt und die Luft im Grunde sofort in die Lunge gelangt. Ich schleime also beim Niesen oder Husten nicht mehr durch Mund oder Nase, sondern durch das Loch im Hals. Um diesen Schleim geschmeidig zu halten und das Zusetzen der Luftröhre zu verhindern, muss ich mehrmals am Tag „vernebeln“, NaCl-Dampf einatmen.
Mit dem Kehlkopf wurden die Stimmbänder entfernt, d.h. auf normalem Wege ist mir das Sprechen unmöglich. In dieser Hinsicht kommt auch nix wieder. Sprache kommt nun im günstigen Fall anders zustande. Und dafür gibt es drei Möglichkeiten.
Erstens die sogenannte Ösophagusstimme. Bei der wird Luft geschluckt und anschließend durch die Speiseröhre nach oben gedrückt. Die Lautbildung erfolgt dann durch Schwingung im Rachen. Diese Stimme hat wenig Luft zur Verfügung, wird durch eine Art Rülpsen verursacht und führt, wenn es klappt, zu kurzen möglichen Sätzen. Das ist die einzig mögliche Sprache ohne Hilfsmittel.  Ich kann sie (noch) nicht.
Mir wurde zwischen Speise- und Luftröhre, in der Höhe des Atemlochs, ein kleines Ventil eingebaut. Es ist ein Shuntventil und wird Provox oder Stimmventil genannt. Das soll dafür sorgen, dass die gesamte eingeatmete Luft, ohne Umweg durch den Magen, sofort durch die Speiseröhre nach oben in den Rachen und Mundraum gedrückt wird und dort durch Schwingung Laute und Worte erzeugt. Bei vielen Betroffenen funktioniert dieses System sofort, bei einigen erst viel später, und bei manchen nie. Es können sowohl Verspannungen als auch organische Hemmnisse im Weg stehen.
Bei mir hat es nicht sofort (und bis heute nicht) geklappt und es war nicht so einfach eine Logopädin mit Erfahrung mit Kehlkopflosen zu finden, die Kapazitäten frei hat. Mein Ventil (bereits das 3. Eingesetzte ist durchlässig, befördert die Luft aber nicht nach oben in den Mundraum, sondern schnurstracks in den Magen, von wo ich sie nicht nach oben gelenkt bekomme (wäre dann, vereinfacht gesagt, die erste beschriebene Stimme).
Mittlerweile weiß ich viel über meinen neuen Zustand, bemerke Verspannungen, übe das Entspannen bestimmter Körperregionen und allgemeiner Zustände und werde nun (endlich) regelmäßige Sitzungen bei einer sehr erfahrenen Logopädin haben.
Bis dahin benutze ich eine digitale Sprechhilfe, die ich mir während ich lautlos spreche an den Hals halte. Das handliche Gerät formt aus den Schallwellen verständliche Sprache, untermalt von einem Gerätebrummen, das in der Kombination ein bisschen an Außerirdischen-Sprech erinnert, aber enorm praktisch ist. Ich kann einfach Quatschen und werde in ruhiger Umgebung gut verstanden. Das begleitende Brummen ist zu Beginn irritierend, es scheint aber möglich zu sein sich daran zu gewöhnen.
Wenn ich das Gerät nicht zur Hand habe, flüstere ich kaum hörbar mit dem bisschen Restluft im Mund- und Rachenraum. Das nennt sich Pseudoflüstern und ist in sehr ruhiger Umgebung in Verbindung mit meinen Mundbewegungen für Geübte verständlich.
Das Stimmventil ist ein fragiles Ding, dass eine Lebensdauer von sehr kurz bis zu einem Jahr hat und dann ausgetauscht werden muss. Von einem HNOarzt, der dazu bereit und in der Lage ist. Es kann nicht gut sitzen, ein bisschen oder komplett undicht sein oder von jetzt auf gleich werden. Komplett undicht heißt, Geschlucktes landet (auch) in der Lunge. Komplett undicht heißt: sofort wechseln. Ein bisschen Leck heißt: Ursache suchen usw. Langer Rede kurzer Sinn: mit dem Stimmventil bin ich sehr abhängig von Ärzten und der Nähe zu Ärzten, die solche Prothesen wechseln, kann aber ohne zusätzliches Gerät sprechen, wenn ich es denn kann. Bin also insofern unabhängiger als ohne Ventil.
Vielleicht ist deutlich geworden, dass ich mit meiner Gesamtsituation sehr einverstanden bin, die komplette Annahme das Ventil betreffend aber noch aussteht. Daran „arbeite“ ich. Wenn‘s klappt, super. Dann sollte auch das Sprechen eines Tages klappen. Wenn nicht, dann lasse ich das Ventil wieder entnehmen und brauche dann dafür einen guten Arzt und Daumendrücker, dass die Verbindung zwischen Luft- und Speiseröhre wieder zuwächst. Aber bis dahin lasse ich mir noch ein halbes Jahr Zeit, übe und quatsche halt wie ein Alien oder halte meinen Mund.
Das ist sowieso gar nicht mal so selten das Beste und mindestens eine interessante Erfahrung.




Montag, 16. Juli 2018

Ach daher weht der Wind

Ach daher weht der Wind
sagst du dennoch achselzuckend
mit Blick auf die Farben deines Lebens -
auch die, die dir nicht gefallen.

Ach daher weht der Wind
sagst du dennoch fröhlich
im Standort verweilend –
das Fernweh integrierend.

Ach daher weht der Wind
sagst du dennoch das liebend
was er dir bringt –
den Ausblick einfach abwartend.

Ach daher weht der Wind
sagst du dennoch still
auch mitten in der Dunkelheit –
und machst das Beste draus.




Sonntag, 15. Juli 2018

Und nun - wer hat Recht?

FußballWM. Endspiel. Abpfiff. 
Die Einen weinen, die Anderen jubilieren. 
Für die Einen ist es schlimm.
Für die Anderen fantastisch. 
Was, bitte schön, ist denn nun wahr? 
Was ist die richtige Reaktion? 
Wer hat Recht?


Sonntag, 8. Juli 2018

Ethischer Abfall


All die Worte, die mir aus Angst im Halse stecken blieben und vielleicht den Tumor formten, waren dann mit der Kehle gemeinsam Abfall geworden. Ethischer Abfall.

Heißt, sie landeten teils im OP und teils in der Pathologie in einem dafür bereitgestellten Behälter. Herausgeschnitten.

Unsortiert und zügig verschlossen. Vielleicht gekühlt. Jedenfalls gemischt mit Organen, Gewebe und versteckten Geschichten anderer Körper fanden sie den Weg in die Verbrennungsanlage.  Mit Behälter verbrannt. Ungeprüft.

Nur der Rauch verpestete die Luft über den Dächern, den Köpfen und Leben der noch nicht Verwesten oder Verbrannten. Oder reinigte genau das die Leben der unter diesen Dächern und Köpfen Lebenden? Bereits vorab. Bereits während des Lebens neu geschaffene Unschuld?

Ein Teil ist bereits Abfall. Bereits entsorgt. Vorangegangen. Nur meine Worte? Oder auch deine, die ich dir nicht zurückgab aus Rücksicht, aus Angst oder aus Dummheit? 
Keinesfalls sagst du, im Vorübergehen. Red‘ nicht solchen Quatsch. Halt den Mund. So redest du nicht mit mir. Höre ich dich noch sagen.

Ich hab‘  ihn gebraucht, den Operateur, der die in Jahren angesammelte und ängstlich bewahrte toxische Masse identifizierte, heraus schnitt und zu Abfall machte. Offensichtlich.

Nun auch für dich. Vertuschen unmöglich. Sprechen unmöglich. Kein Ton. Noch nicht wieder.
Doch die Hände sind mir geblieben. Sie schreiben verbliebene Worte - heraus. Wichtig ist das. Schreiben und vielleicht später auch wieder sprechen und widersprechen. Auch das.

Der Raum ist nun leer. Heilend. Bereit für den Neuanfang. Befreit vom Müll der vielen Jahre. Entbunden vom Abfall. Ethisch gelöst im Feuer. Ungesehen.





Samstag, 30. Juni 2018

Ein Geschenk

Da ich zur Zeit nicht sprechen kann, habe ich mir auf einer SmartphoneApp, die das geschriebene Wort in lieblich klingende Sprache verwandelt, einige Standardinfos und -antworten gespeichert.
Eine dieser Antworten, die eigentlich immer passt - egal, was einem das Leben bietet oder ein Mensch berichtet - ist die:
"Das ist schlimm! Oder schlecht! Könnte aber auch gut oder fantastisch sein! Ich weiß es leider noch nicht! Das muss man erst einmal abwarten!" - oder kurz: "disoskaagofs"
Ich verschenke ihn hier. Den Satz, der immer passt. Zur eigenen Benutzung - natürlich auch in Bezug auf das, was ich der Welt hier auf dieser Seite biete, bzw. bieten werde .



Manchmal ist weniger mehr oder adieu Fistel, hello Servox

Eine sogenannte Stimmprothese ist ein kleines Plastikteil, das in eine Fistel eingefügt wird, die in die Wand zwischen (ehemaliger) L...